Praxis


Brücke zwischen Pädagogik und Recht


Missstände profess. Erziehung- Praxisberichte  Missstände Jugendhilfe- Praxisberichte

IDEE FACHLICH- RECHTLICHES PROBLEMLÖSEN

Ausschließlich positive Rückmeldungen aus der Projektpraxis vor Ort, z.B:
  • „Wir möchten uns nochmal im Namen all unserer anwesenden Kolleginnen und Kollegen für den sehr informativen, detaillierten und auf enormes Fachwissen basierenden Vormittag bedanken. Was wir bisher an Rückmeldungen bekommen haben, klang ohne Ausnahme durchweg positiv. Das waren (leider nur) 3 Stunden, die sich wirklich inhaltlich gelohnt haben. Ich danke Ihnen (auch im Namen all unserer Angestellten) für Ihr Engagement und wünsche ihrem Projekt sowie Ihnen persönlich weiterhin viel Erfolg.“
  • „Aus der Perspektive der neuen Projektideen habe ich in meiner langjährigen Arbeit wohl Fehler gemacht“.

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Über die Mailanschrift martin-stoppel@gmx.de können Sie sich zur Teilnahme an Fortbildung/ Inhouseseminaren/ Begleitung in QM- Prozessen anmelden: Service Anbieter  Service Behörden

2 Fallbeispiele: fachlich – rechtlich bewertet

Verantwortung Pädagoge, Leitung, Jugendhilfebehörde/ Fallbeispiel

Vorab eine Übersicht zu den legalen Handlungsoptionen im pädagogischen Alltag


I. GRUNDLEGENDE HINWEISE

Ob im pädagogischen Alltag einer erziehungsbeauftragten Institution grenzverletzendes Verhalten auszuschließen ist, mithin Machtmissbrauch, richtet sich nach:

  • der fachlichen Grenze der Erziehung  → „Fachliche Begründbarkeit“/ Legitimität
  • der rechtlichen Grenze der Erziehung → Rechtliche Zulässigkeit/ Legalität

1. Die Prüfung der fachlichen Erziehungsgrenze ist mit der Fragestellung verbunden, ob für eine neutrale Person nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt wird (pädagogische Schlüssigkeit). Insbesondere ist zu fragen, ob eine pädagogische Grenzsetzung (verbal oder aktiv) vorliegt, d.h. zulässige Macht. Ist dies nicht der Fall, ist das Verhalten dennoch legal, wenn es erforderlich, geeignet und verhältnismäßig auf eine akurte Gefahrenlage (Gefahrenabwehr / Selbst- / Fremdgefährdung des Kindes/ Jugendlichen) reagiert. Anderenfalls liegt Machtmissbrauch vor.

2. Die Prüfung der rechtlichen Erziehungsgrenze/ Legalität ist mit der Fragestellung verbunden, ob das Verhalten der Rechtsordnung entspricht, insbesondere den Gesetzen.

legal-legitim

Legitimität und Legalität


II. FACHLICHE ERZIEHUNGSGRENZE

Die fachliche Grenze institutioneller Erziehung manifestiert sich in der „fachlichen Begründbarkeit„/ Legitimität. Das Prinzip der „fachlichen Begründbarkeit“ kann und will nicht unterschiedliche pädagogische Grundhaltungen ausschließen, etwa die anthroposophische Haltung, Kindern Kontakt zu Computern nicht zu ermöglichen oder das religiös bedingte Verbot erotischer Darstellungen. Auch ist zu folgern, dass sich die Bewertung des Verhaltens von PädagogInnen nicht an dem Aspekt der optimalen Pädagogik ausrichtet, vielmehr daran, ob innerhalb eines Rahmens möglicher Verhaltensoptionen so gehandelt wird, dass nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt wird.


III. RECHTLICHE ERZIEHUNGSGRENZE

Die rechtliche Grenze institutioneller Erziehung richtet sich nach der rechtlichen Zulässigkeit/ Legalität, d.h. nach der Rechtsordnung, insbesondere den Gesetzen, der Rechtsprechung und dem generell für Eltern und erziehungsbeauftragte Institutionen geltenden Verbot der Kindeswohlgefährdung.

Ist Verhalten pädagogisch nicht begründbar, bedingt auch dies Illegalität. Legalität ist aber immer gegeben, wenn zulässige Gefahrenabwehr außerhalb der Pädagogik ausgeübt wird: bei Eigen- oder Fremdgefährdung, die vom Kind/ Jugendlichen ausgeht und der geeignet und verhältnismäßig begegnet wird.


IV. DETAILS ZUM TABUTHEMA HANDLUNGSSICHERHEIT

Warum ist das Thema der Handlungssicherheit bisher immer noch ein Tabuthema?
  • PädagogInnen öffnen sich zum Teil nicht in krisenhaften Situationen des pädagogischen Alltags, wollen sich und anderen nicht eingestehen, an eigene Grenzen zu stoßen.
  • Oft werden betriebsintern arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchtet, von Aufsichtsbehörden Vorwürfe, verbunden mit Rechtfertigungsdruck.
  • Kindern und Jugendlichen stehen zwar Beschwerdewege offen, die im Spannungsfeld Kindesrechte – Erziehung bei pädagogischen Grenzsetzungen entstehenden Probleme bleiben jedoch weitgehend verborgen. Evident werden in der Regel einfache Sachverhalte wie Essensqualität und „Teilnahme an Freizeitaktivitäten“. Im Übrigen: neutrale Beschwerdeinstanzen / Ombudschaften können nicht zur Objektivierung beitragen, wenn sie Subjektivität durch eigene ersetzen und sich nicht mit objektivierenden Kriterien der „Kindeswohl“auslegung befassen.

Übersicht zu legalen Handlungsoptionen im pädagogischen Alltag

Erziehen und Aufsichtsverantwortung

Die Abhängigkeit der Anbieter/ Träger von Aufsichtsbehörden verhindert Transparenz und Lösungen:

Z.B. in der Jugendhilfe ist es so, dass die Betriebserlaubnis- Abhängigkeit (Landesjugendamt/ in Österreich zuständige Landesbehörde) Einrichtungsträger oft davon abhält, rechtsstaatlich eröffnete Wege, insbesondere Gerichtsverfahren, im Sinne der Behördenkontrolle zu beschreiten. Der Rechtsstaat sieht dies jedoch als elementar an, um der Beliebigkeitsgefahr in der „Kindeswohl“- Auslegung zu begegnen. Stattdessen „arrangiert“ man sich oft. Dadurch werden zum Teil Vereinbarungen mit der Aufsichtsbehörde getroffen, die sich nicht nachvollziehbar am „Kindeswohl“ orientieren, mangels fachlicher Begründbarkeit anfechtbar sind.

Das Thema „Handlungssicherheit“ ist für PädagogInnen, Träger und Behörden virulent, die beraten und beaufsichtigen (Jugend-/ Landesjugendamt, Schulaufsicht).

Die Jugendhilfe sollte selbstkritisch sein und sich für wichtige Reformen öffnen:

1.  Es geht um Grauzonen in der Jugendhilfe, sowohl in Angeboten als auch in Jugend-/ Landesjugendämtern, das heißt um professionelle Erziehung, keinesfalls um die Erziehung in der Familie. Es sollten vorrangig die PraktikerInnen befragt werden, um Defizite zu öffnen. Diese werden freilich wegen der Betriebserlaubnisabhängigkeit (gegenüber Landesjugendämtern) und der Belegungsabhängigkeit (gegenüber Jugendämtern) schwer zu finden sein. Auch erleben wir in Seminaren, dass MitarbeiterInnen sich und anderen ungern eingestehen, in der „Abgrenzung Erziehen – Machtmissbrauch“ an persönliche Grenzen zu stoßen, verbunden mit der Besorgnis arbeitsrechtlicher Schritte des Trägers.

Wie also dieses System des Schweigens lösen?

Es reichen jedenfalls Kontakte mit Jugendhilfebehörden (einschließlich Bundesfachministerium) ebenso wenig wie die Anhörung von Fachleuten der Theorieebene.

Nötig sind Handlungsleitsätze, auf deren Basis einzelne Anbieter ihre pädagogische Grundhaltung i.S. § 8b II Nr.1 SGB VIII „zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt“ transparent darlegen. Das Problem ist freilich: es fehlt die Bereitschaft der Verbände und Behörden, sich einer entsprechenden Konkretisierung des Kindeswohls in der Jugendhilfe zu nähern, müssten sie sich doch eingestehen, sich über lange Zeit dem Thema „Handlungssicherheit“ insoweit verweigert zu haben. Wir brauchen aber dringend den Anstoß durch eine Kindeswohl- Konkretisierung im SGB VIII (eine Definition ist nicht möglich).mit einem „Kindesrecht auf fachlich begründbares legitimes Handelns in der Erziehung“ (s. nachfolgende Grafik).

2, Rheinische Post vom 3.3.2000:Der Bericht der Rheinischen Post zeigt, dass der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ von den Jugendämtern sehr unterschiedlich ausgelegt wird, mithin auch der zugrundeliegende Begriff „Kindeswohl“.  Der Hintergrund: in der Jugendhilfe besteht kein einheitliches, Kindeswohl- Verständnis, da sie es bisher nicht geschafft hat, ihrer Aufgabenwahrnehmung LEITSÄTZE zugrunde zu legen, in denen die Begriffe „Kindeswohl“ und „Kindeswohlgefährdung“ konkretisiert werden. In dem RP- Bericht zündet übrigens der stellvertretende Jugendamtsleiter Alsdorf Michael Raida eine „Nebelkerze“, wenn er auf das Thema „örtliche Zuständigkeit“ ausweicht. Wir gehen davon aus, dass alle Jugendämter sorgsam und strukturiert arbeiten. Die Frage ist nur: auf welcher generellen, für alle nachvollziehbaren Entscheidungsbasis?

Detlef Diskowski (studierte Erziehungswissenschaften, war im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg tätig und ist nun z.B. aktiv im Forum zur Kindertagesbetreuung in Brandenburg): „Sicherlich ist die zuweilen unzureichende Personalausstattung der öffentlichen Träger der Jugendhilfe ein großes Problem. In jedem Fall aber ist das Fehlen von Maßstäben ein Problem. Sie und Ihre Initiative, die eine Brücke zwischen Pädagogik und Recht schlagen will, packt daher ein wichtiges, vielleicht sogar DAS WICHTIGSTE Thema an. Solange die Kinder- und Jugendhilfe nicht eigene Bewertungsmaßstäbe entwickelt, sondern sich hinter juristischen Bewertungen versteckt, verbleibt sie im Vorprofessionellen. Welcher Statiker würde sich juristischen Bewertungen unterwerfen, ob er eine Brücke richtig berechnet hat. Welcher Arzt ließe sich von einem Juristen die Entfernung eines Blinddarms vorschreiben. Diesen Berufsgruppen haben ausschließlich die Anwendung der gültigen Regeln zu belegen; also die „Regeln der Kunst“, die Einhaltung von DIN etc. In der Pädagogik fabulieren viele davon, dass man „mit einem Bein im Gefängnis stehe“. Das hat nichts mit Folgen der tatsächlichen Rechtsprechung, aber viel mit der professionellen Unsicherheit zu tun. (Richter sind nämlich in aller Regel klüger und urteilen nicht selbstherrlich über Sachverhalte, die sie nicht einschätzen können, sondern befragen Sachverständige.) Dieser allgemein gültige Sachverstand, die Verständigung über die „Regeln der Kunst und des Handwerks Pädagogik“ … da müssen wir dringend ran.“

Martin Scheller https://sozialmanagementberatung.de/martin-scheller/: „Es geht auch um die Entwicklung eines begründeten Selbstverständnisses als Profession, fußend auf einem fundierten Fallverstehen und dem Verständnis von Entwicklung und Sozialisation. Es geht darum, die Randbereiche pädagogischen Handelns als Teil menschlicher Entwicklung zu erkennen, zu analysieren, zu begründen – und nicht zu frühe zu sagen: „Nein, das geht aber nicht“. Denn: Pädagogik bedeutet Risiko. Es geht darum, Risiken der zur Persönlichkeitsentwicklung erforderlichen Freiheit zu erklären und als legitimen und tatsächlich unausweichlichen Teil pädagogischen Handelns zu begründen. Voraussetzung dieser Begründungen können nur Handlungsleitsätze sein, die „fachlich legitime“ und „rechtlich zulässige“ Aspekte pädagogischen Handelns beschreiben.“

3. Die Praxis stellt Fragen, die unbeantwortet bleiben: https://www.paedagogikundrecht.de/wp-content/uploads/2021/03/Missstaende-in-der-Jugendhilfe-Praxisberichte.pdf

4. Jugendämter sind in ihren Entscheidungen nicht nachvollziehbar: https://rp-online.de/nrw/landespolitik/lehren-aus-dem-fall-luegde-forscher-halten-kinderschutz-in-deutschland-fuer-unzureichend_aid-49319659  und  https://rp-online.de/nrw/panorama/ein-tag-im-jugendamt_aid-20168465

5. In Landesjugendämtern besteht die Gefahr der Rechtsstaatswidrigkeit: https://www.paedagogikundrecht.de/wp-content/uploads/2021/03/Rechtsstaatsprobleme-der-Landesjugendaemter-1.pdf

6. Beispielhaft die selbstkritische Position einer Jugendamtsmitarbeiterin im Dialog mit dem Projekt Pädagogik und Recht: PROJEKT PÄDAGOGIK UND RECHT: Ich habe den Eindruck, dass in Jugendämtern und Landes- zur Zeit ausschließlich auf der Ebene der persönlichen pädagogischen Haltung „Machtmissbrauch“ definiert wird und die einzige objektivierbare Ebene das Strafrecht ist, das aber nicht ausreichen kann und darf, wenn es um „Machtmissbrauch“ geht. ANTWORT: auf jeden Fall. Das nervt mich ja auch so sehr, dass ich aus dem Job will. Bloß nichts gewähren, Kosten sparen. Das Kindeswohl ist eigentlich egal. Lange dachte ich, dort kann ich für Kids etwas bewegen. Aber das ist nicht mehr gewollt. Die Schwellen für Kindeswohlgefährdung werden immer höher, das Sichern des Kindeswohls immer geringer.


V.  QUALITÄTSENTWICKLUNG / DAUERHAFTER QUALITÄTSZYKLUS

In Angeboten sollte folgender Prozess der Qualitätsentwicklung stattfinden, vom Projekt Pädagogik und Recht begleitet:
  • QM- Prozess, beginnend in den Teams
  • Selbstreflexion und Reflexion im Team: Teammitglieder benennen in den Teambesprechungen Situationen und pädagogische Regeln, die es gilt im Kontext der Herausforderungen des pädagogischen Alltags fachlich- rechtlich zu bewerten. Die notwendige Offenheit innerhalb des Teams sollte dadurch gewährleistet sein, dass die Leitung auf disziplinarische Schritte verzichtet – ausgenommen Straftaten – und im weiteren QM- Verfahren gegenüber der Leitung und dem Träger Anonymität gewährleistet ist.
  • Fachlich- rechtliche Bewertung entsprechend dem Prüfschema zulässige Macht
  • Meinungsbildung im Fachbereich i.S. gemeinsamer pädagogischer Grundhaltung
  • Entwickeln und Fortschreiben „fachlicher Handlungsleitlinien“
  • Ziel: pädagogische Qualität durch Reflexion und Kommunikation
  • Grundlage intern: offene Diskussionskultur und Bereitschaft, den Weg zu gehen (MitarbeiterInnen, Leitung)
  • Grundlage extern: Qualitätsdialog mit Jugend-/ Landesjugendamt
  • QM- Prozess In klaren Strukturen: fachliche Handlungsleitlinien, Teambesprechungen, Fachlicher Austausch im Fachbereich

Vor einem „QM- Prozess Handlungssicherheit“ wird i.d.R. ein Inhouseseminar durchgeführt. Wird auf dieser Grundlage Qualitätsentwicklung gewünscht, kann eine weitergehende Begleitung durch das Projekt sicher gestellt werden

paedagogik-recht_qualitaetszyklus

QM- Prozess

Qualitätszyklus der Pädagogi


Handlungsleitlinien


Leitlinien fachlicher Erziehungsgrenze


I. VORBEMERKUNG

Einzel-/Teamreflexion grenzsetzender Erziehung ist im Spannungsfeld mit Kindesrechten in der Abgrenzung zu Machtmissbrauch in 3 aufeinander aufbauenden Stufen notwendig:

  1. die persönliche pädagogische Haltung
  2. die fachliche Legitimität
  3. die rechtliche Zulässigkeit.

Pädagogisches Handeln kann ohne fachliche Legitimität nicht rechtmäßig sein. Ebenso wenig ist fachliche Legitimität ohne eine zugrundeliegende persönliche pädagogische Haltung denkbar. Die drei Stufen sind wesentlicher Bestandteil jeder Selbst- und Teamreflexion. Das Ergebnis der Reflexion lautet: meine/ unsere Entscheidung ist fachlich legitim und rechtlich zulässig. Ich/wir habe/n nicht ausschließlich die eigene pädagogische Haltung zugrunde gelegt, sondern anhand der objektivierenden Kriterien der fachlichen Legitimität und der rechtlicher Zulässigkeit entschieden. Nur diese dreistufige Reflexion führt im Sinne des „Kindeswohls“ zu nachvollziehbaren Entscheidungen: auf einer objektivierenden Ebene, ohne von Beliebigkeitsgefahr geprägter ausschließlicher Subjektivität/ persönlicher Haltung. Sie ist ohne vorhandene Handlungsleitsätze unmöglich, die in den Reflexionsstufen 2 und 3 zur Anwendung kommen.


Handlungsleitsätze Erziehungshilfe          Analyse Jugendhilfe – die Leitsätze als Lösung

Interne u. externe Verfahren: Kindeswohlsicherung u. Stärkung der Handlungssicherheit

Schreiben an WDR

Ein einheitliches Kindeswohlverständnis der PädagogInnen und der Behörden (Jugendamt, Landesjugendamt, Schulaufsicht) kann sich nur auf der Grundlage von Handlungsleitlinien entwickeln, welche die Auslegung des „unbestimmten Rechtsbegriffs Kindeswohl“ erleichtern, insoweit im rechtlichen Kontext einen „Beurteilungsspielraum Kindeswohl“ bieten.

Handlungsleitlinien sind in folgendem Kontext relevant:
  • Handlungsleitsätze zur Beschreibung fachlicher Erziehungsgrenzen i. S. fachlicher Legitimität
  • Fachliche Handlungsleitlinien“ der Anbieter (§ 8b II Nr.1 SGB VIII) als „Agenda pädagogische Grundhaltung; Bemerkung: Handlungsleitsätze zur Beschreibung fachlicher Erziehungsgrenzen würden einen erleichternden Rahmen für den Anbieter bieten, den eigenen pädagogischen Weg zu beschreiben.
  • Handlungsleitsätze der öffentlichen Jugendhilfe zur Entwicklung eines einheitlichen Kindeswohl- verständnisses und Vermeidung von Beliebigkeitsgefahr in der Kindeswohlauslegung:
Hinweis zu den Handlungsleitlinien:
  • PädagogInnen und verantwortliche Behörden entscheiden über das Wohl von Kindern und Jugendlichen (Kindeswohl). Sie sollten dies in objektivierenden Strukturen tun, fachlich – rechtliche Strukturen reflektierend. Natürlich liegt jeder für Kinder und Jugendliche relevanten Entscheidung eine die pädagogische Haltung wiederspiegelnde persönliche Bewertung zugrunde. Dies beinhaltet aber keinen Ermessensspielraum, vielmehr sollte im Kontext „fachliche Begründbarkeit und Kindesrechte“ – beides relevante Kindeswohlkomponenten – eine Reflexion erfolgen. Grundlage hierfür sollten Handlungsleitlinien sein, die einen Beurteilungsrahmen (juristisch: „Beurteilungsspielraum“) zur Auslegung des unbestimmte Rechtsbegriff Kindeswohlbeschreiben. Aufgabe der Anbieter ist es, diesen Beurteilungsrahmen als eigene pädagogische Grundhaltung in „fachlichen Handlungsleitlinien“ (§ 8b II Nr.1 SGB VIII) selbstbindend und transparent darzustellen.
Fachliche Handlungsleitlinien der Anbieter nach § 8b II Nr.1 SGB VIII:
  • „Fachliche Handlungsleitlinien“, in denen Anbieter ihre pädagogische Grundhaltung im Rahmen „fachlicher Verantwortbarkeit“ transparent darstellen (§ 8b II Nr.1 SGB VIII) sind seit dem 1.1.2012 „zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt“ gesetzlich vorgesehen.
  • Übrigens: der Gesetzgeber geht davon aus, dass nicht nur Jugendhilfe- Einrichtungen „fachliche Handlungsleitlinien“ beschreiben, vielmehr alle Träger von „Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten“ (§ 8b II SGB VIII), d.h. auch Träger der Behindertenhilfe, Schulen/ Internate, kinder-/ jugendpsychiatrischer Kliniken.

Die rechtliche Wirkung von Handlungsleitlinien:

  • Wikipedia: „Lege artis (lat.: lex, legis – Gesetz; ars, artis – Kunst) bedeutet so viel wie kunstgerecht oder nach den Regeln der Kunst. Hierunter versteht man, dass eine Handlung entsprechend den gesellschaftlichen Normen, wissenschaftlichen Standards oder gesetzlichen Regeln, sowie unter Berücksichtigung aller brauchbaren Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten, und unter Anwendung der persönlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse auszuführen ist.“
  • Im Medizinalrecht gilt für die empirisch entwickelten „Regeln ärztlicher Kunst“, dass eine in diesem fachlichen Rahmen durchgeführte Behandlung vom Einverständnis der/ des PatientIn getragen ist und somit keine strafbare Körperverletzung sein kann.
  • In der außerfamiliären Pädagigik würden „Leitlinien pädagogischer Kunst“ ebenfalls dazu führen, dass in diesem Rahmen ausformulierter Erziehungsethik durchgeführte Erziehung vom Erziehungsauftrag gedeckt ist, von der stillschweigenden Zustimmung Sorgeberechtigter. Solange bundesweite „Leitlinien pädagogischer Kunst“ fehlen, erstreckt sich die stillschweigende Zustimmung Sorgeberechtigter nur im allgemeinen Sinn auf das für sie vorhersehbare Erziehungsverhalten, den pädagogischen Alltag. Für einzelne, diesen Rahmen verlassende Erziehungsmethoden müsste eine ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden. Soweit Anbieter eigene „fachliche Handlungsleitlinien“ i.S. § 8b II Nr.1 SGB besitzen, konkretisiert sich eine den umfassenden Rahmen fachlich begründbaren Verhaltens („Leitlinien pädagogischer Kunst“) ausmachende Zustimmung auf die in den „fachlichen Handlungsleitlinien“ beschriebene pädagogische Haltung des Anbieters und damit verbundenes pädagogisches Verhalten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die „fachlichen Handlungsleitlinien“ von Sorgeberechtigten unterschrieben werden sollten.

II. WAS BEINHALTEN „FACHLICHE HANDLUNGSLEITLINIEN / AGENDA PÄDAGOGISCHE GRUNDHALTUNG“ DES ANBIETERS ?

In der „Agenda pädagogische Grundhaltung legt ein Anbieter seine eigenen „fachlichen Handlungsleitlinien“ fest, d.h. seine pädagogische Grundhaltung: transparent für die ihn beauftragenden Sorgeberechtigten (Betreuungsvertrag), für Behörden wie Jugendämter oder Landesjugendamt (Qualitätsdialog i.R. der gesetzlichen Beratungspflicht des Landesjugendamtes (§ 8b II SGB VIII). Es ist dies der pädagogische Weg, den der Anbieter i.R. fachlich- ethischer Verantwortung und rechtlicher Zulässigkeit gehen will, um den doppelten gesellschaftlichen Auftrag des Erziehens (Pädagogik) und der Aufsicht zu erfüllen (Gefahrenabwehr). Dies beinhaltet allgemeine Aussagen zur pädagogischen Haltung ebenso wie eine fachlich – rechtliche Bewertung typicher Fallbeispiele des pädagogischen Alltags. Hinweise zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen, verbunden mit Beschwerdeverfahren, ergänzen die Agenda. Im Unterschied zur Agenda stellen pädagogische Konzepte die Programmatik und den Verlauf der pädagogischen Angebote und Leistungen dar.

Wie wird in der stationären Erziehungshilfe eine Agenda pädagogische Grundhaltung gegenüber Sorgeberechtigten, Jugendamt und Landesjugendamt transparent verantwortet?
  1. Gegenüber Sorgeberechtigten sollte die Transparenz dadurch sichergestellt werden, dass die Inhalte der Agenda Bestandteil des Betreuungsvertrages werden (PDF/unten). Sofern ein Anbieter Sorgeberechtigten seine pädagogische Grundhaltung rechtzeitig vor Beginn der Hilfe zur Kenntnis bringt, wird späteres den Pädagogikprozess hemmendes Nachfragen zur Abklärung einer Zustimmung ebenso reduziert wie Rechtfertigungen gegenüber Eltern, der Leitung, dem Jugendamt/ Landesjugendamt und Beschwerdeverfahren.
  2. Gegenüber dem Jugendamt empfiehlt es sich, die Agenda in die Leistungsbeschreibung einzufügen.
  3. Gegenüber dem Landesjugendamt sollte die Agenda Grundlage eines Qualitätsdialoges sein. So könnte im Kontext einheitlichen Kindeswohlverständnisses eine gesicherte Grundlage geschaffen werden, die spätere Beanstandungen der Einrichtungsaufsicht reduziert.

Beispiel „fachliche Handlungsleitlinien“ einer Intensivgruppe

Betreuungsvertrag – Muster


III. HANDLUNGSLEITLINIEN – KONSEQUENZ AUS DER NACHKRIEGSHEIMGESCHICHTE

Die Schicksale von Kindern und Jugendlichen in Heimen der 50er bis 70er Jahre wurden u.a. an einem „Runden Tisch“ thematisiert (Abschlussbericht). Wenn wir jedoch unsere Heimvergangenheit auf die heutige institutionelle Erziehung projizieren, sind immer noch wesentliche Ursachen damaliger Vorkommnisse existent, wenn auch ohne vergleichbar gravierende Wirkungen:

  • gesetzliche Lücken hinsichtlich der Kindesrechte, z.B. in Durchführung des Freiheitsentzugs.
  • mangelnde Transparenz, ob und inwieweit die Kindesrechte im Alltag der Pädagogik gewahrt sind
  • fehlender Rahmen fachlicher Legitimation

Zu konstatieren ist eine Renaissance restriktiver Maßnahmen wie Freiheitsentzug, Postkontrollen und Abschließen in Beruhigungsräumen, verbunden mit Kinderrechte- Grauzonen. Es ist an der Zeit, Grenzen der Erziehung in Handlungsleitlinien zu beschreiben. Im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen kann nicht länger verantwortet werden, dass sich – je nach Zeitgeist – Inhalte pädagogischen Verhaltens grundlegend ändern. Als Beispiel ist auf eine Verdopplung der Platzzahl „geschlossener Gruppen“ in der letzten Zeit hinzuweisen, nachdem in den 90er Jahren die meisten Gruppen aufgelöst worden waren.

Kinder und Jugendliche dürfen nicht länger höchst unterschiedlichen „Erziehungsmethoden“ unterworfen sein, ohne Rücksicht auf ihre Rechte. Immerhin ist innerhalb der letzten 40 Jahre eine Entwicklung von militärähnlichen, teilweise menschenverachtenden Eingriffen der Nachkriegszeit über die „Laissez- Faire“- Haltung der 68er- Generation bis hin zu neuen Restriktionen festzustellen. Um insoweit Änderungen zu erreichen, sind sicherlich Gesetze anzupassen: z.B. in Art 6 Grundgesetz Kinder/ Jugendliche als Träger eigener Rechte festzuschreiben. Unabhängig von derartigen Initiativen ist aber eine praxisbezogene Reform einzuleiten, die auch auf die elterliche Erziehung ausstrahlt: auf der Basis von Handlungsleitlinien.

Wesentlicher Gesichtspunkt ist es dabei, den Rahmen ethisch- fachlich verantwortbarer Pädagogik herauszuarbeiten, insbesondere verbunden mit den Werten der Achtung, des Vertrauens und der Gerechtigkeit. Während in der Medizin eine ärztliche Behandlung de lege artis ausgeführt ist, wenn sie aufgrund des bekannten Standards der Medizin sachgerecht erfolgt, fehlt in der erzieherischen Verantwortung ein vergleichbarer Rahmen. Ein Arzt läuft im Falle eines „ärztlichen Kunstfehlers Gefahr, mit dem strafrechtlichen Vorwurf der Fahrlässigkeit überzogen zu werden, hingegen gilt in der Pädagogik teilweise das Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel“, wobei etwa Maßnahmen des Freiheitsentzugs irrigerweise als pädagogisches Instrument betrachtet werden (sowohl von Befürwortern wie Gegenern, verbunden mit nicht endender Diskussionen auf der Haltungsebene). Mit solchen pädagogischen Begründungen typischer Aufsichtsmaßnahmen ist vor allem die Gefahr des Verletzens von Kindesrechten verbunden.