Freiheitsentzug: fachlich-rechtliche Sicht


 

Abgrenzung Freiheitsbeschränkungg von Freiheitsentzug


Die Diskussion geschlossene Unterbringung lässt sich wie folgt zusammenfassen:
  • CONTRA   Prof. Friedhelm Peters, Erziehungswissenschaftler Fachhochschule Erfurt: In einer geschlossenen Einrichtung lernt man, dort zurechtzukommen, sich mit s.g. Stufenplänen zu arrangieren. Man lernt oberflächliche Anpassung, nicht aber, mit normativen Vorgaben reflektiert umzugehen. Im Einzelnen z.B. auch VPE e.V. Schleswig- Holstein: für in der Heimerziehung Tätige ist die Betreuung der besonders „schwierigen“ Kinder und Jugendlichen zu einer großen, mitunter kaum noch zu tragenden Herausforderung geworden, deren Bewältigung jedoch nicht im Wegschließen zu finden ist. Geschlossene Unterbringung als Strukturmerkmal stationärer Kinder- und Jugendhilfe ist weder theoretisch hinreichend fundiert noch durch in der Praxis zu verzeichnende Erfolge empirisch bestätigt. Bislang kann weder vorab noch im Nachhinein positiv festgestellt werden, dass Freiheitsentzug für das Erreichen pädagogischer Kernziele sinnvoll bzw. voraussetzend ist. Demzufolge dient GU offensichtlich primär dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft vor besonders schwierigen Kindern/ Jugendlichen und scheint weniger Hilfe und Schutz für die Kinder/Jugendlichen zu sein. Das entspricht sowohl einem pädagogischen Missbrauch als auch einem Rechtsmissbrauch (???). Hier erfolgt Einsperren/ Strafe unter dem verharmlosenden Deckmantel der Erziehung. Eine zentrale Forderung an die stationäre Kinder- und Jugendhilfe gilt der Verbesserung der Betreuungskontinuität sowie der Fähigkeit, mit dem Kind/ Jugendlichen verlässlich und belastbar in Kontakt zu treten, lebensweltorientierte Hilfen anzubieten und die Partizipation am gesellschaftlichen Leben zu verbessern. Natürlich müssen wir uns grundsätzlich fragen, was präventiv getan werden muss, damit unsere Kinder erst gar nicht so schwierig werden. Heimerziehung darf sich im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht daran hindern lassen, sich so qualifiziert zu entwickeln, dass sie auf die geschlossene Unterbringung als Interventionsform, „die helfen soll, wenn nichts mehr hilft“, verzichten kann (Bemerkung: diese Meinung ordnet irrigerweise den Freiheitsentzug als Maßnahme der Pädagogik ein; das ist falsch, da er ein juristisches Instrument der Gefahrenabwehr ist/ § 1631b BGB/ s. unten).
  • PRO   Sabine Bauer, stellvertretende Leiterin Mädchenheim Gauting: Einem 3-, 4-jährigen sagt man ganz klar nein und setzt eine Grenze. Bei Jugendlichen in der Form eigentlich nicht mehr, aber was mache ich mit einem Jugendlichen, der diese Grenze braucht? Wie gebe ich ihm die? Der braucht keine Freiheit, die hatte er die ganze Zeit in der einen oder anderen Form. Er braucht Halt, er braucht Orientierung, er braucht Sicherheit!
In der Pro- und Contra- Diskussion darf die Frage nicht lauten, ob Freiheitsentzug bejaht wird (Bemerkung: es handelt sich ja um ein Institut zivilrechtlicher Aufsichtspflicht). Vielmehr ist folgende Frage zu stellen und zu beantworten:

  • Wie kann unter freiheitsentziehenden Bedingungen pädagogisch gearbeitet, d.h. ein/e Kind/ Jugendliche/r pädagogisch erreicht werden? Wie kann ein/e PädagogIn im schwierigen Doppelauftrag Erziehen und Abschließen glaubwürdig bleiben?

Pädagogik unter Freiheitsentzug findet im Setting der besonders zugespitzten Aufträge Pädagogik (Persönlichkeitsentwicklung) und Aufsicht (Gefahrenabwehr) statt. Erforderlich sind spezifische pädagogische Konzepte, die – trotz des geschlossenen Rahmens – zielführende pädagogische Eignung verkörpern. Ob das der Fall ist, bleibt im Einzelfall zu prüfen. In bestimmten Fällen könnten also geschlossene Gruppen eine pädagogische Chance bieten.

  • Zu im Freiheitsentzug denkbar wirksamen pädagogischen Konzepten kann auf die Studie des Deutschen Jugendinstituts/ DJI hingewiesen werden „Effekte freiheitsentziehender Maßnahmen in der Jugendhilfe“/ 2010/ DJi . Darin ist folgende Schlussfolgerung enthalten: Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Geschlossenheit, Abschottung nach außen und geringe Partizipationsmöglichkeiten den Erziehungsprozess und den Aufbau pädagogischer Beziehungen zumindest am Anfang für die große Mehrzahl der Jugendlichen sehr erschweren. Das Paradoxon, durch Freiheitsentzug zur Freiheit erziehen zu wollen, kann nur dann produktiv aufgelöst werden, wenn die Jugendlichen ihrerseits paradox reagieren und die Zwangsangebote quasi freiwillig annehmen. Freiheitsentzug kann also insbesondere dann positive und zum Teil auch dauerhafte Effekte aufweisen, wenn Jugendliche dieses Setting als Hilfe für sich anerkennen und mitgestalten. Voraussetzung für pädagogische Einflussnahme ist, dass sie ….die drastische Grenzsetzung durch den Freiheitsentzug als Chance nutzen lernen, für sich etwas zu erreichen. Dazu müssen sie ihren anfänglichen Widerstand zumindest teilweise aufgeben und das Angebot, sich die Freiheit schrittweise zurück zu erobern, als eine Bewährungsprobe annehmen können“.
  • Mit anderen Worten: der freiheitsentziehende Rahmen stationärer Erziehungshilfe ist zwar für sich betrachtet nicht geeignet, ein pädagogisches Ziel zu verfolgen. Dennoch kann er über die Brücke einer pädagogischen Vereinbarung Teil eines pädagogischen Prozesses sein, indem ihn der betroffene junge Mensch als Chance begreift. Bei Freiheitsentzug ist somit ein spezifisches pädagogisches Konzept erforderlich, das durch verlässliche Beziehung, Überzeugung und Glaubwürdigkeit in der Lage ist, die auf die Psyche des Minderjährigen wirkenden Belastungen zu mindern und damit die Voraussetzungen für einen auf Vertrauen gestützten pädagogischen Prozess zu eröffnen. Bedingung ist, dass der junge Mensch den Freiheitsentzug als Ausdruck zwischenmenschlicher, persönlicher Auseinandersetzung empfindet. Auch setzt ein unter freiheitsentziehenden Bedingungen praktiziertes Konzept voraus, dass das Kind/ der/die Jugendliche den eigenen Willen nicht nur auf Autonomie ausgerichtet hat, d.h. darauf die Einrichtung zu verlassen, vielmehr auch ein Wille erkennbar ist, sich mit dem pädagogischen Angebot zu befassen. Fehlt diese Ambivalenz, ist kein geeigneter Prozess denkbar, der ein pädagogischen Ziel verfolgen könnte. D.h. es fehlt die fachliche Verantwortbarkeit/ Legitimität: das Kind/ der/die Jugendliche ist pädagogisch nicht erreichbar, der Freiheitsentzug ist nach Absprache mit entscheidungsverantwortlichen Sorgeberechtigten und genehmigungszuständigen Richtern (§ 1631b BGB) zu beenden. Das Konzept erfordert darüber hinaus Rollenklarheit im Doppelauftrag Hilfe – Kontrolle. Glaubwürdig handelt die/ der PädagogIn insbesondere, wenn sie/er dem Kind/ Jugendlichen die rechtlichen Grundlagen des Freiheitsentzugs erläutert und in der Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges fortlaufend dessen weitere Notwendigkeit überprüft und erklärt. Diese grundlegenden pädagogisch- konzeptionellen Aussagen beachtend fällt dem Freiheitsentzug im Fokus des Themas „Machtmissbrauch“ eine hervorgehobene Bedeutung zu, auch wenn zur Zeit bundesweit nur ca. 360 geschlossene Plätze vorhanden sind, aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen freilich mit steigender Tendenz. Die Bedeutung resultiert insbesondere aus erheblichen Grauzonen in der gelebten Abgrenzung zwischen Freiheitsentzug und Freiheitsbeschränkung sowie aus im Einzelfall nur schwer zu lösenden Zielkonflikten zwischen Erziehung einerseits und Kontrolle durch verschlossene Türen andererseits (Bemerkung: im Unterschierd zum Freiheitsentzug ist die Freiheitsbeschränkung i.d.R. pädagogisch begründbar).