Prüfschemata anwenden


Machtüberhang in der Erziehung


I. WANN LIEGT ZULÄSSIGE MACHT VOR, WANN MACHTMISSBRAUCH?

Wie grenzt sich fachlich verantwortbares und rechtlich zulässiges Verhalten von Grenzüberschreitungen ab: zulässige Macht von Machtmissbrauch? Eine Antwort kann auf der Grundlage der folgenden PDF- Dateien gegeben werden: Arten des Machtmissbrauchs

Auch unterscheiden:

– Macht in Verantwortung für andere = fachlich legitimes Handeln in der Erziehung

– Macht in Eigennutz = Machtmissbrauch / fachlich illegitimes Handeln in der Erziehung

Sexuelle Selbstbestimmung – Machtmissbrauch


II. PRÜFSCHEMATA

Die Projektidee „Fachlich-rechtliches Problemlösen“ kann mittels der „Prüfschemata zulässige Macht“ gelebt werden: 

Fachlich und rechtlich zu bewerten sind geplantes Verhalten und nachträgliche „Einzelfälle“ in krisenhaften Situationen des pädagogischen Alltags. Angeboten werden insoweit zwei „Prüfschemata zulässige Macht“: empfohlen, vorbehaltlich der pädagogischen Indikation des Einzelfalls: Prüfschema nachträgliches Bewerten und Prüfschema Planung. Damit wird die Subjektivität und damit Beliebigkeit von Entscheidungen reduziert; natürlich bleibt noch ein Rest von Bewertung, ob im Einzelfall „zulässige Macht“ oder „Machtmissbrauch“ vorliegt.

Prüfschema HEilPÄDAGOGIK  Prüfschema KINDER/ JUG.PSYCH.  Prüfschema MITTELBAR VERANTWORTLICHE

Im Rahmen dieser Prüfschemata ist auf Folgendes hinzuweisen:

1.      Die pädagogische Kunst

Zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen,   auch zur Verbesserung der Handlungssicherheit Verantwortlicher sollten die fachliche und die rechtliche Erziehungsgrenze verdeutlicht, d.h. die Legitimität (fachliche Begründbarkeit) und die Legalität (rechtliche Zulässigkeit). Im Ergebnis geht es darum, zulässige Macht von Machtmissbrauch abzugrenzen.

Zur Erleichterung bietet das Projekt „Pädagogik und Recht“ die Idee des „integriert fachlich-rechtlichen Problembewertens“ an. Dabei ist die Legitimität Vorstufe der Legalität und sind der Orientierung dienende Prüfschemata zugrunde gelegt. Isoliert fachliche bzw. rechtliche Betrachtungen des pädagogischen Alltags sollen vermieden werden, da sie nicht dem Kindeswohl dienen.

Die Idee „integriert fachlich- rechtliches Problembewerten“ versteht sich als objektivierendes Element, das in der Pädagogik ausschließlich subjektiv begründeten Entscheidungen entgegen wirkt, mithin der Gefahr von Beliebigkeit oder Willkür. Die Idee wird im juristischen Kontext durch das  „Kindesrecht auf fachlich begründbares Verhalten in der Erziehung“ verdeutlicht, das im Grundgesetz bzw. in Landesverfassungen gesetzlich verankert werden sollte.

2.      Das integriert fachlich-rechtliche Bewerten von Situationen pädagogischen Alltags    

  • Zu unterscheiden ist pädagogisches Verhalten von der Gefahrenabwehr (z.B. Notwehr bei aggressivem Kind/ Ziffer 4).
  • Pädagogisches Verhalten kann im weiteren Verlauf Maßnahmen der Gefahrenabwehr reduzieren oder gar entbehrlich machen. Pädagogik kommt jedoch nicht in Betracht, wenn eine akute Gefahrenlage vorliegt, in der mittels Gefahrenabwehr sofort zu reagieren ist (Ziffer 4).
  • Die integriert fachlich- rechtliche Bewertung sollte einerseits auf den Zeitpunkt des in einer Situation relevanten Verhaltens ausgerichtet sein, andererseits ist auch für den weiteren Zeitraum diese Bewertung relevant: sollte sich herausstellen, dass nachträglich die pädagogische Eignung des Verhaltens bzw. der Regel entfällt, ist die Ursprungsentscheidung zurückzunehmen, was dem Kind/ Jugendlichen unter Inanspruchnahme alternativer Maßnahmen zu erläutern ist.

3.   Um im ganzheitlich fachlich- rechtlichen Ansatz der Gefahr beliebiger Entscheidungen auf allen Verantwortungsebenen zu begegnen, gehen wir von diesen Kernaussagen aus:

  • In der Pädagogik kann nur fachlich legitimes (begründbares) Handeln rechtens sein.
  • Die Legitimität (fachliche Begründbarkeit) ist Vorstufe der Legalität. Es ist also wichtig, dass unter dem Aspekt fachlicher Legitimität bestehenden rechtlichen Erziehungsgrenzen fachliche vorgeschaltet sind, zukünftig in „Leitlinien pädagogi- scher Kunst“ ausformuliert. Schwierige Situationen des pädagogischen Alltags sind im Rahmen fachlicher Legitimität vorrangig fachlich zu bewerten, danach rechtlich.
  • Das „Kindeswohl“ umschließt in der Erziehung neben den Kindesrechten, dass objektiv nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt wird („eigenverantwortlich/ gemeinschaftsfähig“), das heißt Entscheidungen fachlich legitim sind. Eine bestimmte Entscheidung entspricht entweder dem „Kindeswohl“ oder aber sie ist „kindeswohl“widrig. Das schließt nicht aus, dass in einer konkreten Situation mehrere Entscheidungen dem „Kindeswohl“ entsprechen.
  • Verhalten ist fachlich legitim, wenn es nachvollziehbar ein pädagogisches Ziel verfolgt, d.h. aus der Sicht einer fiktiv neutralen, pädagogisch geschulten Person insoweit geeignet ist. Die Eignung besagt, dass die breite Skala pädagogischer Optionen beachtet und somit Verhalten pädagogisch begründbar ist. Verhalten im pädagogischen Alltag, das kein nachvollziehbares pädagogisches Ziel verfolgt, ist ungeeignet, mithin fachlich illegitim.
  • Liegt fachliche Illegitimität vor, ist das Verhalten auch illegal, es sei denn, es geht darum, einer konkreten Eigen- oder Fremdgefährdung des Kindes/ Jugendlichen zu begegnen. In diesem Kontext werden Prüfschema angeboten: für das Einplanen von Verhaltensoptionen, vorbehaltlich der pädagogischen Indikation des Einzelfalls (Prüfschema nachträgliches Bewerten und Prüfschema Planung)  . Dieses helfen, in schwierigen Situationen des pädagogischen Alltags zwischen „zulässiger Macht“ und „Machtmissbrauch“ (unzulässige „Gewalt“/ § 1631 II BGB) zu unterscheiden.
  • In dem Prüfschema kann im Rahmen einer allgemeinen Planung geprüft werden, ob – vorbehaltlich des Einzelfalls (Alter/ Entwicklungsstufe/ Ressourcen des/r Kindes/ Jugendlicher/n, Vorgeschichte, Situation) – eine bestimmte Option des Handelns als fachlich legitim in Betracht kommt (z.B. Wegnahme eines Handys). Darüber hinaus kann auch nachträglich gefragt werden, ob das Handeln in einer konkreten Situation fachlich legitim war.
  • Zu unterscheiden ist pädagogisches Verhalten von Maßnahmen der „Gefahrenabwehr“ bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung eines Kindes/ Jugendlichen. Letzteres schließt aber nicht aus, dass zugleich auch pädagogische Ziele verfolgt werden: die Pädagogin handelt z.B. – bedingt durch den primären Erziehungsauftrag – auch pädagogisch, wenn sie während des Festhaltens zugleich beruhigend auf das aggressive Kind einwirkt. Sie verfolgt dann nicht nur das Ziel der „Gefahrenabwehr“ (Aufsichtsverantwortung), vielmehr auch das Ziel, diese kommunikativ so einzubet- ten, dass sie das Kind nicht zu sehr verstört. Zudem ist Voraussetzung für jede  Maßnahme der „Gefahrenabwehr“, dass eine  pädagogische Beziehung besteht. Diese ist wesentlich mitbestimmend dafür, ob sich z.B. ein Kind bzw. ein/e Jugendliche/r festhalten lässt. Die vorangegangenen Beziehungserfahrungen mit der/m PädagogIn sind in der Situation der „Gefahrenabwehr“ also von großer Bedeutung.
  • Ausgeschlossen muss sein, dass – weil auch ein pädagogisches Ziel verfolgt wird – Maßnahmen der „Gefahrenabwehr“ (z.B. Postkontrolle) ausschließlich unter pädagogischen Aspekten betrachtet werden, quasi „pädagogisch importiert“. Im Gegenteil: da die rechtlichen Anforderungen der Gefahrenabwehr weiterreichen als die der fachli- chen Legitimität, müssen die rechtlichen Voraussetzungen stets geprüft werden. „Der Zweck darf nicht die Mittel heiligen“. Es könnten Kindesrechte verletzt werden. Rechtliche Voraussetzungen der „Gefahrenabwehr“ sind: erforderliche, geeignete und  verhältnismäßige Reaktion auf die Eigen- / Fremdgefährdung.
  • Entscheidungen mittelbar Verantwortlicher (Leitung, Träger, Jugendamt, Landesjugendamt) sind nur dann fachlich legitim, wenn sie eine Voraussetzung setzen, um nachvollziehbar pädagogische Ziele zu verfolgen.

III. DIE PRÜFSCHEMATA IM EINZELNEN

1.  Prüfschema nachträgliches Bewerten 

2. Prüfschema Planung

3. Prüfschema Eingliederungshilfe

4. Prüfschema KINDER/ JUG.PSYCH.

5. Prüfschema MITTELBAR VERANTWORTLICHE


IV. QUALITÄTSENTWICKLUNG / DAUERHAFTER QUALITÄTSZYKLUS

In Angeboten sollte folgender Prozess der Qualitätsentwicklung stattfinden, vom Projekt Pädagogik und Recht begleitet:
  • QM- Prozess, beginnend in den Teams
  • Selbstreflexion und Reflexion im Team: Teammitglieder benennen in den Teambesprechungen Situationen und pädagogische Regeln, die es gilt im Kontext der Herausforderungen des pädagogischen Alltags fachlich- rechtlich zu bewerten. Die notwendige Offenheit innerhalb des Teams sollte dadurch gewährleistet sein, dass die Leitung auf disziplinarische Schritte verzichtet – ausgenommen Straftaten – und im weiteren QM- Verfahren gegenüber der Leitung und dem Träger Anonymität gewährleistet ist.
  • Fachlich- rechtliche Bewertung entsprechend den Prüfschemata zulässige Macht 
  • Meinungsbildung im Fachbereich i.S. gemeinsamer pädagogischer Grundhaltung
  • Entwickeln und Fortschreiben „fachlicher Handlungsleitlinien“
  • Ziel: pädagogische Qualität durch Reflexion und Kommunikation
  • Grundlage intern: offene Diskussionskultur und Bereitschaft, den Weg zu gehen (MitarbeiterInnen, Leitung)
  • Grundlage extern: Qualitätsdialog mit Jugend-/ Landesjugendamt
  • QM- Prozess In klaren Strukturen: fachliche Handlungsleitlinien, Teambesprechungen, Fachlicher Austausch im Fachbereich
  • Vor einem „QM- Prozess Handlungssicherheit“ wird i.d.R. ein Inhouseseminar durchgeführt. Wird auf dieser Grundlage Qualitätsentwicklung gewünscht, kann eine weitergehende Begleitung durch das Projekt sicher gestellt werden

paedagogik-recht_qualitaetszyklus

QM- Prozess

Qualitätszyklus der Pädagogik


V. HINWEISE

Bevor zugespitze Situationen eintreten, in denen mittels „Zwang“ i.S. Gefahrenabwehr reagiert wird, kann pädagogisches Verhalten derartiger Eskalation entgegen wirken. Z.B. kann Autorität „Zwangs“-maßnahmen erübrigen. Eine Empfehlung lautet daher: in Grenzsituationen weitestmöglich zunächst pädagogisch reagieren, mit Zwang (Gefahrenabwehr) nur als „ultima ratio“.

Verantwortung in der Erziehung